Race-Quickie
42,2 Km
1.800 Hm
5h 16min (offizielle Zeit: 5h 3min)
Startpunkt: Karlsplatz Heidelberg
Organisation Start/ Ziel: 9/10
Wegmarkierung: 10/10
Wegstrecke: 10/10
Verpflegungsstationen: 6/10
Stimmung: 7/10

Kurzzusammenfassung
Ein top organisierter Lauf im Herzen von Heidelberg. Die Strecke ist super markiert, oft stehen zusätzlich Volunteers an den Kreuzungen bzw. Polizisten auf den Straßen (Keine Sorge, nur ganz wenige!), die überquert werden müssen. Bei den VPs gibt es Wasser, Elektrolyte, Energydrinks, Bananen und Haferriegel. Schön wäre allerdings fürs nächste Mal eine weitere Verpflegungsstation vor Kilometer 17 auf dem weißen Stein (Z.B. am Turnerbrunnen). Des Weiteren wäre eine genauere Streckenabmessung wünschenswert, sodass man am Ende bei 42km rauskommt und nicht 39Km oder 40Km (war bei mir selbst und vielen anderen der Fall).
Die Stimmung auf den Trails ist super, immer wieder feuern Familien und sonstige Wanderer und Anwohner die Läufer an, nur auf der Zielgeraden ist dieses Jahr weniger los (Lag es vielleicht am Wetter?). Aber der Moderator gibt sich bei jedem Läufer Mühe, ihn mit Namen zu begrüßen. Der Goodie-Bag ist ebenfalls gut gefüllt mit Riegeln, Energydrinks, Vitamin C-Pulver, einem Flaschenöffner uvm. Die Medaille fühlt sich wertig an und besticht mit einer großen Zehn, die symbolisch für das 10-jährige Jubiläum des Gelita Trail Marathons steht.


Prolog
Es ist kurz vor acht als der Wecker klingelt. Nicht dass ich ihn gebraucht hätte. Ich hatte zweieinhalb Stunden geschlafen als sich mein Gehirn um halb zwei nachts dazu entschied, aufzuwachen und nicht mehr einzuschlafen. Ich fing an von 1000 rückwärts zu zählen. Bei 750 gab ich auf. Tee, Meditation, Geräusche eines fahrenden Autos. Nichts konnte mein Gehirn dazu bewegen, abzuschalten. Ich fühlte mich nicht einmal besonders aufgeregt vor morgen, nur unheimlich erschöpft. Und wach. Jeder, der diese Art von Schlaflosigkeit schon einmal erlebt hat, weiß, wie anstrengend und zermürbend sie ist. Wenn man nach fünf Minuten auf die Uhr schaut und eine Stunde vergangen ist und der Druck, endlich einzuschlafen immer größer wird. Wenn einem lautlose Tränen der Verzweiflung über die Wangen laufen und man sich wünscht, die Nacht möge endlich enden. Dementsprechend gerädert stehe ich schließlich auf. Der Blick in den Spiegel bestätigt, wie ich mich fühle: wie von einem Kleinlaster überrollt, trifft es ganz gut.
„Sieh es als Training für Laufen unter Schlafdeprivation.“, versuche ich mein verklebtes und zerknautschtes Spiegelbild zu überzeugen. Mechanisch ziehe ich mich an. Funktionsshirt, Tights, Kompressionssocken in Neongelb (Glaubt mir, knallige Farben wirken in grauem Wetter Motivationswunder!). Binde mir die Haare zu einem hohen Zopf, sodass die Falten der Nacht gleich ein bisschen weniger tief aussehen. Wie ein Soldat lege ich meine Rüstung für den Tag an und langsam finden die Lebensgeister zu mir zurück. Das Adrenalin verdrängt die Müdigkeit. Ich habe so viel investiert für diesen Marathon heute, das lasse ich mir jetzt nicht mehr nehmen.
Beim Frühstück gehe ich kein Risiko ein. Es gibt Porridge mit ein bisschen Obst, Ahornsirup und Erdnussbutter. Dazu versuche ich möglichst viel zu trinken für eine optimale Hydrierung bereits vor dem Rennen. Es ist weniger Aufregung die ich spüre als Resignation. Monatelanges Training sind plötzlich vorbei und jetzt sitze ich hier, am Morgen des entscheidenden Tages mit Schmerzen im Schienenbein, die mich seit zwei Wochen wieder plagen und noch dazu eigentlich völlig übermüdet. Innerlich dusche ich in Selbstmitleid und zweifel kommen in mir auf, ob ich überhaupt starten sollte, ob es eine gute Idee ist, in diesem Zustand einen Marathon mit fast 2000 Höhenmetern laufen zu wollen. Aber ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass nicht starten keine Option ist. Ich sollte an dieser Stelle dazu schreiben, dass dies meine ganz persönliche Entscheidung ist. Ich bin absolut kein Befürworter davon, mit Schmerzen oder übermüdet bzw. nicht vollständig leistungsfähig an den Start zu gehen. Ich kenne meinen Körper und weiß, wie sich welche Schmerzen anfühlen und wann es angebracht ist, Pause zu machen. Deshalb entscheide ich mich heute trotz nicht optimaler Voraussetzungen für einen Start. Ich stelle die Selbstmitleids-Dusche ab und nehme mir vor, das Beste daraus zu machen und vor allem Spaß zu haben.
Der Start in der Heidelberger Altstadt ist nicht besonders autofreundlich, aber wir haben Glück und finden sogar noch eine enge Lücke in einer Seitengasse, in die wir uns Dank Rückfahrkamera noch reingequetscht kriegen. Es sind noch 20 Minuten bis zum Start. Malte und mein Papa laufen den Marathon als 2er Staffel; Ulla, mit der ich schon so manchen Wettkampf zusammen bestritten habe und ich die gesamten 42 Kilometer.
Die letzten Minuten vor einem Startschuss vergehen für mich immer wie in einem Traum. Die Abläufe sind immer dieselben. In der meterlangen Schlange vor den Dixie-Klos anstehen. Drinnen möglichst viele Sinne abstellen und hoffen, sich bei den Verrenkungen, nichts zu berühren, keine Zerrung zu holen. Bag Check zwischen Nudelständen, Expo-Aufstellern und Startnummernausgabe finden. Ein paar Schlucke trinken, weil die Trinkblase mal wieder viel zu schwer ist. Nervös auf der Stelle traben, hüpfen und stretchen (da sieht man ja die komischsten Sachen bei den verschiedenen Läufertypen), da richtiges Warmjoggen ein potenzielles Verpassen des Startschusses nicht wert ist (Ist nicht so, als wäre mir das schon passiert und ich zwei Minuten später als alle anderen über die Startlinie gesprintet). Ein paar flache Motivationssprüche. Hektische Blicke auf die Uhr, die immer noch kein GPS-Signal hat. Die energiegeladene Atmosphäre liegt wie ein Knistern in der Luft, ein Prickeln auf der Haut. Die Sekunden bis zum Start verrinnen, der Moderator zählt runter, die Zuschauer klatschen und jubeln und dann… läuft man einfach los.


Hauptteil
Der erste Kilometer führt aus Heidelbergs schöner Altstadt hinaus über die Alte Brücke und dann Richtung Ziegelhausen. Aber nicht lange und am Wehrsteg biegt der Weg ab in die Hirschgasse, die hinauf in den Wald führt. Vor uns läuft ein Mann barfuß. Ja, tatsächlich barfuß. Ich frage mich, was er für Hornhaut haben muss, wenn er einen Trail-Marathon ohne Schuhe und Socken laufen kann. Die Straße hinauf zum Philosophenweg ist steil und die meisten verfallen in ein zügiges Speed-Hiking. Oben geht es über den Philosophenweg mit wunderbarem Blick auf Heidelberg, das Schloss und den Königstuhl (da geht es später auch noch hinauf…) ein Stück bergab, bevor man um eine scharfe Kehre läuft und der zähe Anstieg bis zur Thingstätte beginnt. Ich merke, dass ich für meine Verhältnisse zu schnell laufe und lasse mich hinter den anderen zurückfallen.
Zunächst hadere ich mit meiner langsameren Pace, ärgere mich, dass ich nicht schneller laufen kann. Wieder kommen Zweifel hoch, diesmal versetzt mit Selbstzweifeln, ob sich das ganze Training überhaupt gelohnt hat, ob ich eine gute Läuferin bin und dass es unfair ist, dass ich Schmerzen im Schienenbein habe. Das sind die Art von Gedanken, die sich sehr dysfunktional und demotivierend auswirken. Ich weiß das, kann sie aber trotzdem nicht verhindern. Deshalb lasse ich sie zu, denke all die düsteren Gedanken zu Ende, laufe in meinem Stiefel den Berg hoch und widme mich dann positiveren Gefühlen. Ein Marathon ist lang. Gerade wenn man alleine läuft, hat man viel Zeit, sich mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, das heißt, ich muss gut auf meine Gefühle achtgeben, die bei einer Extremsituation wie einem Marathon gerne verrückt spielen. Ich liebe es, viel zu fühlen und ebenso wie Emotionen mich überfordern und in ein Motivationstief stürzen können, vermögen sie auch das Gegenteil. Mit jedem Schritt versuche ich aufzuhören, der Pace anderer nachzueifern und meine Aufmerksamkeit stattdessen auf mich zu fokussieren.
„Du bist heute genau so schnell, wie du heute sein kannst. Laufe für dich, für niemanden sonst. Du hast es verdient.“, spreche ich mir innerlich Mut zu.
Die Stufen der Thingstätte sind voller Menschen, die die Läufer anfeuern, was das Zeug hält. Die ersten fünf Kilometer und knapp 300 Höhenmeter wären geschafft. Ich nehme mein erstes Gel, dann folgt der erste technisch anspruchsvolle Downhill. Ich blende aus, wieviel noch vor mir liegt und genieße die waldigen Trails, die entweder berghoch oder bergrunter verlaufen. Flache Abschnitte sind eher die Seltenheit. Schließlich erreiche ich den letzten Anstieg hinauf zum Weißen Stein, bevor der lange Downhill nach Ziegelhausen eine kleine Verschnaufpause erlaubt. Ich knacke die 1000 Höhenmeter Marke kurz bevor die lang ersehnte Verpflegungsstation vor dem Turm des Weißen Steins in Sicht kommt. Schnell stopfe ich mir zwei Stücke Haferriegel in den Mund und eins in die Tasche und spüle mit picksüßem Elektrolyte-Zeug nach. Ein kurzes „Danke“ und Lächeln an die Volunteers, die bestimmt Frieren vom Rumstehen, später, tauche ich wieder ein in den schattigen Wald, in dem dichte Nadelbäume nur wenig Licht hindurchlassen. Kurzzeitig bin ich ganz alleine und wundere mich, ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Track bin. Aber ich erinnere mich von letztem Jahr an diesen einsamen Abschnitt und vertraue auf die Routenfunktion meiner Uhr. Kurz darauf ertönt lautes Rufen und Klatschen und ich laufe an der Wechselzone der Staffelläufer vorbei, die gleichzeitig die Halbmarathon-Marke markiert. Komisch, bis jetzt habe ich gerade mal 19 Kilometer auf der Uhr. Entweder sie trackt falsch oder es wartet am Ende noch ein Böses Überraschen. Trotzdem liege ich bisher fast eine halbe Stunde schneller als die geplanten 5,5 Stunden in der Zeit. Ich lasse meine Beine einfach ihren Dienst tun, denn der Weg ist einfach und nicht zu steil, gerade so, dass man es bergab angenehm laufen lassen kann. Kurzzeitig komme ich mit einem Familienvater ins Gespräch. Wir berichten uns gegenseitig von unseren bereits absolvierten Rennen dieses Jahr und denen, die noch folgen. Er klagt über Krämpfe, ich über Schienenbeinkantensyndrom. Typisches Gespräch unter Läufern.
Schließlich kommen die Häuser Ziegelhausens in Sicht und der Weg führt über eine Straße, die von zwei Polizisten mit ernster Miene gesichert wird, durch den altertümlichen Torbogen der Klosterhof-Brauerei. Statt Bier gibt es hier allerdings Wasser und mit meinen grobmotorischen Händen werfe ich aus Versehen einen vollen Becher um, was mir einen vernichtenden Blick der Helfer einbringt. Schande über mein Haupt, das nun die Bürde von gleich zwei Plastikbechern auf einmal tragen muss.
Die nächsten drei Kilometer verlaufen nun flach über einen schmalen, gepflasterten Weg direkt am Neckar entlang zur Ziegelhausener Brücke, die die 30 Kilometermarke markiert. Plötzlich durchzuckt mich ein stechender Schmerz am linken Knöchel. Ich hatte ganz vergessen, wie schmerzhaft es ist, von einer Biene gestochen zu werden. Und dann auch noch an einer so bescheuerten Stelle fürs Laufen. Beherzt ziehe ich den Stachel heraus, der immer noch in meinem Knöchel steckt und laufe weiter. Es hilft ja nichts. Hoffentlich habe ich in den letzten Jahren keine Allergie entwickelt. Muss man so einen Stich eigentlich erstversorgen? Gekonnt ignoriere ich die aufkeimende Besorgnis. Hier stehen schließlich überall Sanitäter herum. Glücklicherweise pendelt sich der Schmerz irgendwann auf einem aushaltbaren Niveau ein und lenkt mich von meinem rechten Schienenbein ab, was ebenfalls beständig pocht. Ich grinse dümmlich wegen dieser Ironie des Schicksals.
Auf der anderen Seite der Brücke bietet die zweite Verpflegungsstation die letzte Möglichkeit seine Reserven vor dem Hammer-Anstieg hinauf zum Königstuhl, dem Gipfel des läuferischen Leidens, aufzufüllen. Laufen tut hier keiner mehr, zumindest nicht in meinem Starterfeld. Egal in welches Gesicht ich schaue, jedes trägt diesen trüben Midrun-Crisis Gesichtsausdruck, analog zur Midlife-Crisis, in der Gewissheit, dass das, was jetzt kommt, noch einmal richtig weh tun wird. Aber wenigsten ist man nicht allein. Bis zum Einstieg der Himmelsleiter wandere ich mit zwei anderen Mädels zusammen und wir bestätigen uns gegenseitig, dass das hier wirklich, wirklich harter Tobak ist.
Die Himmelsleiter, die wie ein Damoklesschwert nach knapp 37 Kilometern über den Läufern schwebt, ist eine Treppe, die mit circa 1.600 natürlich geformten Felsenstufen auf 700 Metern 300 Meter erklimmt. Viele Zahlen, aber wer ein bisschen rechnen kann, kann sich ungefähr vorstellen, wie steil sie ist. Ich zwinge mir ein letztes Gel rein. Die süße, klebrige Masse in meinem Magen schwappt bedrohlich hin und her. Die ersten Stufen taumele ich mehr, als dass ich gehe. Was tue ich hier gerade? WARUM tue ich das gerade? Warum muss ich Marathons laufen, kann ich nicht lieber einfach Briefmarken sammeln?
„Du weißt ganz genau, dass du das nicht könntest, weil du das hier liebst. Auf eine perverse, leidenschaftliche Art liebst du den Schmerz, die Überwältigung, das Feuer in deinem Blut, deinen Muskeln, deinem Herzen. Du liebst es, wenn deine Sicht verschwimmt, die adrenalingeladene Energie sich mit totaler Erschöpfung paart und deine eigene Stimme unnatürlich laut in deinen Ohren klingt.“
Mein Ich schwingt heroische Reden, während mein Körper sich Stufe für Stufe höher kämpft. Wenn man denkt, irgendwann geht es nicht mehr schlimmer, geht es tatsächlich irgendwann nicht mehr schlimmer.
„Alles Okay?“, frage ich einen Läufer, der sich auf einen Stein hat sinken lassen.
„Ja, Ja, alles gut, danke. Ich bin nur müde.“, seufzt er. „So müde.“
Wie das Licht am Ende des Tunnels taucht das Ende dieser Tortur plötzlich vor mir auf. Ein Volunteer schreit mir aufmunternde Worte entgegen und endlich setze ich meinen Fuß auf die letzte Stufe. Ich komme mir vor wie geläutert. Jetzt geht es nur noch bergab. Fast. Tatsächlich geht es nach einem technisch anspruchsvollen Downhill, bei dem höllische Vorsicht gefragt ist, nachdem die Beine auf der Himmelsleiter dermaßen malträtiert wurden, noch einmal sanft bergauf. Die letzte Verpflegungsstation lasse ich bis auf einen Schluck Wasser links liegen und quäle mich die letzten Höhenmeter in Richtung Molkenkur berghoch. Endlich knickt der Weg scharf auf einen schmalen Singletrail ab und führt hinunter am Molkenkur-Hotel vorbei und zum Schloss.. Eine Frau mit orangener Startnummer sprintet an mir vorbei, vermutlich eine der Top 3 Athletinnen des Ultratrails. Aber auch ich zünde nochmal meine Zielreserven und fliege in einer 4er Pace auf das Schloss zu. Durch den Schlossgarten hindurch fühle ich mich wie in einer Fata Morgana. Noch einen Kilometer. Die aufmunternden Blicke nehme ich gar nicht mehr wirklich wahr, ebenso wenig wie die vereinzelten Touristengrüppchen, die sich fragen, was wir Verrückten hier eigentlich tun. Die Zielgerade durch die Heidelberger Hauptstraße ist im Vergleich zu letztem Jahr deutlich leerer, aber der große Zielbogen ist trotzdem nicht zu übersehen. Ich sehe Maltes strahlendes Gesicht hinter der Absperrung und laufe mit einem letzten Sprint auf ihn zu und durch den Bogen hindurch. Ich will gerade die Uhr anhalten, als wie durch Watte Maltes aufgeregte Stimme zu mir durchdringt: „Da musst du hin, lauf weiter! Da ist das Ziel!“ Wild gestikulierend deutet er auf einen zweiten aufgeblasenen Bogen zehn Meter weiter. Den habe ich anscheinend nicht gesehen. Ein wenig aus dem Konzept gebracht stolpere ich die letzten Schritte ins Ziel. Ich höre den Moderator, wie er mich mit Namen begrüßt. Irgendjemand hängt mir eine Medaille um und drückt mir einen Goodie-Bag in die Hand. Wie ferngesteuert nehme ich eine Laugenstange und Brühe und flöße mir beides abwechselnd ein. Langsam sickert die Erkenntnis durch, dass ich es tatsächlich geschafft habe. 42 Kilometer. 1.800 Höhenmeter. In 5 Stunden und 3 Minuten. Malte kommt, drückt mich an sich, gratuliert mir. Ich will lachen und weinen und tue letztendlich nichts von beidem. Was für ein faszinierender, anstrengender, wunderbarer Lauf!


Epilog
Als ich mich einigermaßen gefasst habe, blicke ich auf die Uhr und erstarre. 40,20 Kilometer bin ich laut Anzeige gelaufen. Das sind exakt 2 Kilometer zu wenig für einen vollständigen Marathon. Ich weiß, ich werde heute keine Ruhe finden, bis ich die 42,2 Kilometer auf der Uhr stehen habe. Nennt mich verrückt, aber Läufer werden mich verstehen. Hier geht es ums Prinzip. Ich lege meine Sachen ab und fange an, die Straße hoch und runter zu joggen und sehe tatsächlich den ein oder anderen Läufer mit verbissenem Gesicht dasselbe tun. Ich brauche letztendlich 5 Stunden und 16 Minuten, bis mein innerer Monk endlich Ruhe gibt und meine Beine für heute ihren Dienst getan haben. Für den Nudelgutschein, den es zur Startnummer dazu gab, sind wir allerdings zu spät dran. Für Vegetarier gibt es nur noch Reis mit Tomatensauce. Egal. Hauptsache warm und kein Gel, auch wenn es zugegebenermaßen nicht besonders lecker ist. In der Zwischenzeit erfahre ich, dass Malte und mein Papa den zweiten Platz der Männer bei der Marathonstaffel gemacht haben. Malte ärgert sich, weil nur zehn Sekunden zum Ersten gefehlt haben. Das immerwährend trübsinnige Schicksal des zweiten Platzes. Der Erste freut sich, dass er der Beste war; der Dritte, dass er überhaupt auf dem Treppchen ist; und der Zweite, nun, der ist irgendwo dazwischen. Nichtsdestotrotz freuen wir uns über ihre großartige Leistung und klatschen wie wild, als sie bei der Siegerehrung ihre Urkunde, den stilvollen, hölzernen Pokal und nicht zu vergessen das Sixerpack Bier in Empfang nehmen.
Zu Hause unter der Dusche bin ich das erste Mal alleine heute und endlich laufen mir die Tränen über die Wangen. Es sind befreiende Tränen, die mir wie Steine vom Herzen fallen. Im Kopf durchlebe ich die letzten Monate, all die Trainingsstunden und gelaufenen Kilometer, das Bangen und Hoffen bei Schmerzen oder kleinen Verletzungen. Aber ich weine nicht lange, denn eigentlich bin ich von einem tiefgreifenden Glücksgefühl erfüllt, dass alles, was an diesem Tag passiert ist und ihn möglich gemacht hat, einschließt.
Verpflegung, Snacks & Co.:
Frühstück: Porridge (Haferflocken, Banane, 15g Proteinpulver, Kokos-Reis-Milch) mit Apfel, Nektarine, Ahornsirup und Erdnussbutter
Snacks: 4 Gels, Haferriegel, Elektrolyte (ca. 600 Kcal; zu wenig!)
danach: Brühe, Laugenbrötchen, Reis mit Tomatensauce, Halbes Nutellabrötchen

Learnings
- Regelmäßiger/ Mehr Trinken: Ich hatte ca. 1,5l Wasser mit Elektrolyten dabei, von denen ich am Ende noch etwas übrig hatte. Bei den VPs habe ich jeweils auch nur einen halben Becher getrunken. Das ist zu wenig, weshalb ich zum Ende hin starke Kopfschmerzen bekommen habe.
- Regelmäßiger/ Öfters Essen: Bei einem Durchschnittspuls von 162 Bpm reicht ein Gel alle 60 Minuten nicht. Lieber alle 45 Minuten eins + VPs nutzen!
- Pinkeln wenn nötig: Ab der Hälfte musste ich eigentlich pinkeln, aber habe es immer wieder aufgeschoben/ vergessen. Es läuft sich allerdings deutlich entspannter mit leerer Blase, die 2 Minuten sind es wert.
- Puls beobachten: Am Berg den Puls im Blick haben, nicht zu früh zu hochpulsig laufen. Egal wie schnell die anderen laufen, bei sich bleiben und auf die eigene Atmung fokussieren.
- Kein Tiramisu am Abend vorher: Da ist Koffein drin.
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