Atemberaubend, Alt, Abschnittsweise Angsteinflößend.
Touren-Quickie
15 Km
700 Hm
5h 30min
Startpunkt Wanderung: 43.746305, 6.344818
Aussicht: 8/10
Wegmarkierung: 8/10
Schwierigkeit: 7,5/10*
(An einigen Stellen Trittsicherheit/ Schwindelfreiheit erforderlich)

Highlights
- beliebteste Route durch die Verdonschlucht
- gut ausgeschildert/ viele Informationen zur Umgebung
- viele Higlights wie 2 Tunnel o. in den Fels gebaute Treppe
- viele Aussichtspunkte mit Blick in die Schlucht
Lowlights
- One-Way Tour, deshalb etwas tricky mit An- und Abreise
- Nur für Menschen ohne Klaustrophobie/ Angst im Dunkeln geeignet (keine Möglichkeit, die Tunnel zu umgehen)
Ich wache mit Schmerzen in meiner linken Mandel auf. Das geht ja gut los, hoffentlich werde ich nicht krank. Manche Menschen kriegen Schnupfen, andere Herpes, ich kriege als erstes immer eine Mandelentzündung. Am liebsten würde ich die Dinger einfach rausnehmen lassen, aber ich habe noch mehr Angst davor, dass es die Sache eher verschlimmbessert. Die Wanderung durch die berühmte Verdonschlucht, Mutter aller Schluchten, will ich mir jedenfalls nicht nehmen lassen.
Nach einem heißen Tee und Porridge (noch mehr Croissant und Baguette waren heute morgen beim besten Willen nicht drin) lassen sich meine Lebensgeister langsam wieder blicken. Die Fahrt zum Startpunkt allein gestaltet sich ein Highlight, bei dem uns allen der Mund offen stehen bleibt. Die Straße windet sich stetig am Rand des riesigen Canyons entlang, der sich wie das klaffende Maul eines in der Erde versunkenen Ungeheuers zu beiden Seiten erstreckt. Mir wird etwas mulmig zu Mute, als mein Blick über die steile Felskante zur Rechten der Straße hinabfällt. Die gewaltigen Felswände bieten einen beeindruckenden Anblick. Wie es wohl von unten wirken wird? Angeblich führt dort ein beliebter Wanderweg entlang, der als eine One-Way Tour ausgeschrieben ist. Es ist daher empfehlenswert, sich im Vorhinein zu überlegen, wie man zum Start bzw. vom Ziel wegkommt. Wir genießen das Privileg eines persönlichen Bring- und Abholservice, allerdings nutzen auch viele die Möglichkeit eines Busshuttles, der am Wochenende die Wanderer zum Startpunkt bei La Maline fährt bzw. beim Point Sublime wieder aufsammelt. Die klassische Route führt nämlich von Westen bei La Maline in die Schlucht hinab und windet sich dann nach Osten hinauf bis zum Point Sublime.
Von der Straße führt der Weg steil bergab über weißgraues Geröll und lose Steine. Es werden circa dreihundert Höhenmeter bis zum Grund der Schlucht. Immer wieder warnen gelbrote Verbotsschilder nicht zu nah an den Rand des gerölligen Weges zu laufen. Gar nicht so einfach, in Anbetracht der Tatsache, dass der Pfad ohnehin lediglich dreißig Zentimeter misst. An den breiten Stellen. Nichtsdestotrotz kommen wir unbeschadet unten an. Sogar die Sonne traut sich vorsichtig hinter den Wolken hervor, obwohl ab Elf Uhr eigentlich Regen vorhergesagt war. Wir hoffen natürlich das Beste und manifestieren gedanklich den Sonnenschein. Der Pfad windet sich nun größtenteils ebenerdig zwischen dem Fluss Verdon (Im Zweifel heißt hier alles Verdon, Gorges du Verdon, Rivière Verdon, Canyon du Verdon, La Palud-sur-Verdon…) und der Felswand zu unserer Linken durch die Schlucht, die sich massiv und beinahe einschüchternd auf beiden Seiten in den Himmel türmt. Obwohl es sehr waldig ist und die Schlucht vergleichsweise breit, fühle ich mich doch ziemlich klein zwischen den abertausend Tonnen Fels, die mich umgeben.
Wir rätseln, wie lange es wohl gedauert haben mag, bis eine Schlucht dieser Größe entstanden ist. 100.000, 1 Million, 10 Millionen Jahre? Geologie ist nicht unsere Stärke, aber staunen können wir trotzdem.
Gut zum Angeben!
Der Beginn der Entstehung der Verdonschlucht markiert in der Trias-Zeit (vor ca. 230 Millionen Jahren) eine Absenkung der Provence, wodurch sie vom Meer überflutet wurde. Daraufhin lagerten sich am Grund diverse Schichten von Kalk ab, dessen Wachstum im Jura (vor ca. 180 Millionen Jahren) durch eine erneute Überflutung durch ein warmes, flaches Meer begünstigt wurde. In der Kreidezeit (vor ca. 100 Millionen Jahren) zog sich das Meer in das Gebiet der heutigen Alpen zurück, da sich die Provence anhob. Im anschließenden Tertiär (vor ca. 30 Millionen Jahren) falteten sich die Alpen auf, woraufhin die zerbrechenden Kalkmassive die Landschaft formten. Der Fluss Verdon suchte sich seinen Lauf. Das jüngste Zeitalter Quartär (Beginn vor ca. 2,5 Millionen Jahren) war geprägt von den eiszeitlichen Gletschern, welche alles unter einer tonnenschweren Eismasse begruben. Die durch die Eisschmelze ausgelösten gewaltigen Wassermassen von bis zu 3000 m³/s formten schlussendlich die tiefen Täler und Schluchten des Verdon-Canyons.
Somit lagen wir mit unserer Schätzung weit daneben, obwohl sie verdeutlicht, wie begrenzt unser menschliches Vorstellungsvermögen in Bezug auf Zeit ist. Was bedeuten 230 Millionen Jahre? Wie jung ist der Mensch im Vergleich zu diesem geduldigen Meisterwerk der Natur?
In das uralte Gestein graben sich immer wieder Wurzeln ähnlich betagter Eichen, deren Rinde so dick und verwittert ist, dass sie ebenfalls als Fels durchgehen könnte.
Gegen halb Zwölf (Es regnet noch nicht, juhuu!) erreichen wir unseren geplanten Mittagspausen-Platz. Der Aussichtspunkt „La Mescla“ liegt ein Stück unterhalb des eigentlichen Weges, wo der kleinere L’Artuby in den größeren Verdon fließt. Wir genießen kalte Kartoffeln, die gestern beim Abendessen übrig geblieben sind mit Olivenpastee, Trauben, Rohkost und das obligatorische Baguette mit veganem Käse. Wir amüsieren uns über den sehr kreativen Namen „Genießerscheiben“, da er offiziell nicht als Käse deklariert werden darf. Wir versinken in der fragwürdigen Debatte veganer Lebensmittelnamen und landen irgendwann bei „Veba-Wurst-Streich…Genuss“. Ja okay, in dem Moment war es irgendwie lustiger.
Der Himmel hat sich zugezogen und es wird merklich kälter. Werden wir nun doch noch nass? Schnell räumen wir zusammen und wandern weiter. Nicht lange und wir erreichen nach einem schweißtreibenden Anstieg die Brèche Imbert, eine über 252-stufige Metalltreppe, die halsbrecherisch in die Tiefe führt und sich geschickt gebaut an den Fels schmiegt. Bei schlechtem Wetter ist sie allerdings unbedingt zu vermeiden, aber wir haben Glück und der drohende Regenguss hat sich verzogen. Erstmalig 1920 erbaut, wurde sie 2012/2013 sehr zu unserer Beruhigung komplett saniert. Zwei ältere Paare schleppen sich schnaufend die letzten Stufen hoch in mehr oder weniger guter Verfassung. Als wir die Stufen nun hinunterlaufen, wundern wir uns, was diese rüstigen Rentner alles hochgekraxelt sind, obwohl der Abstieg nicht weniger Adrenalin erfordert. Die hohlklingenden Stufen sind oft nur so schmal, dass man den Fuß lediglich quer daraufsetzen kann und zusätzlich spiegelglatt. Was hat sich der Erbauer bloß hierbei gedacht? „Komm, wir machen ein Trinkspiel daraus, für jedes gebrochene Bein einen Schluck.“ Die bösen Gedanken lösen sich heil unten angekommen allerdings in Wohlgefallen auf, als sich die Schlucht noch einmal von ihrer beeindruckendsten Seite zeigt. Mit zusammengekniffenen Augen entdecken wir sogar den roten Helm eines Kletterers, der wie ein Stecknadelkopf in der riesenhaften Felswand auf der gegenüberliegenden Seite hängt. Die Schlucht bietet ein wahres Paradies für Kletterer, insbesondere, wenn man auf der Suche nach spannenden Mehrseillängenrouten ist.
Der schwierigste Teil des Weges liegt hinter uns und entspannt plaudernd erreichen wir das letzte Highlight der beliebten Wanderung. Zwei in den Fels gehauene Tunnel, von denen der zweite sogar 650 Meter lang ist gucken wie zwei schwarze Augen aus dem beigen Fels. Für mich, die ich nicht gerne unter die Erde gehe, eine kleine abschließende mentale Herausforderung. Wir packen unsere Stirnlampen aus, die wir extra hierfür mitgenommen haben. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, irgendeine Lichtquelle dabei zu haben, da es zwischendrin sehr dunkel wird und der Boden uneben ist. An der dunkelsten Stelle kann man nicht einmal einen Ausgang, geschweige denn die eigene Hand vor Augen sehen. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Nein, ich bin definitiv kein Fan von Höhlen oder Tunneln jeglicher Art. Ich kann Unmengen an Gestein über mir förmlich spüren, wie sie dem Erdmittelpunkt entgegenstreben, unwiederbringlich und unbeugsam. Wie stabil ist so ein Tunnel eigentlich?
Als der kleine helle Kreis am anderen Ende des Tunnels auftaucht, fällt mir im wahrsten Sinne des Wortes en Stein vom Herzen und ich kann wieder freier atmen. Von hier kann es nicht mehr weit sein bis zum Point Sublime, dem offiziellen Endpunkt der Wanderung, wo der schmale Fußpfad auf die schlangenlinenförmige Straße mündet.
Ich drehe mich um und lasse die gewaltige Szenerie auf mich wirken. Ich bin so klein im Angesicht solcher Naturschauspielplätze.
Pünktlich als wir im Auto sitzen, fällt die ersten Tropfen auf die Scheibe. Gutes Timing ist alles!
Verpflegung, Snacks und co.:
Frühstück: Porridge mit Curcuma, Zimt, Äpfeln, Datteln, Kürbis- und Sonnenblumenkernen
Snacks: Tomaten, Baguette mit veganem Käse und Aufstrich, Kartoffeln mit Olivenpaste
Danach: Die beste Pizza der Welt, die ein altes Kletterehepaar aus einem winzigen Stand auf einem Parkplatz in La Palud-sur-Verdon verkauft (Empfehlung!)
*Einschätzungen beruhen auf meiner subjektiven Wahrnehmung, NICHT auf offiziellen Schwierigkeitsskalen
Leave A Reply