Touristisch, Traumhaft, Teuer.
Touren-Quickie
14,50 Km
950 Hm
4h 20min
Startpunkt Wanderung: 59.450478, 8.026279
Aussicht: 8/10
Wegmarkierung: 10/10
Schwierigkeit: 6/10*
(Rot bis Schwarz nach norwegischer Skalierung)
Highlights
- beliebtester Weg der Region
- geschichtsträchtig
- gut ausgeschildert/ viele Informationen zur Umgebung
- Blick auf den Telemarkskanal
- Tipp: Soria Moria Sauna in Dalen (https://www.visitnorway.de/listings/soria-moria-sauna/208116/)
Lowlights
- Fähre von Lårdal nach Dalen nur 1x täglich
- Fährticket 40€ p.P
- eigentlicher Weg beginnt ca. 3Km oberhalb von Dålen (bis dorthin nur Straße; am besten mit 2 Autos oder Taxi dorthin)
Als Urlaubsabschlusshighlight wollen Malte und ich heute mit einem befreundeten Pärchen, die gerade in Norwegen mit dem Camper unterwegs sind, den beliebten Lårdalstigen wandern. Diese One-Way Tour zieht sich ca. 14 Kilometer lang von Dålen über einen bewaldeten Felskamm nach Lårdal mit einem fantastischen Blick über den Telemarkskanal, ein Grund warum die Route so beliebt ist.
Da wir Gott sei Dank über zwei Autos verfügen, lassen wir eins am Fähranleger in Dalen stehen und fahren mit dem anderen die ca. drei Kilometer und 300 Höhenmeter zum Startpunkt bzw. Wanderparkplatz. Dort empfängt uns unübersehbar eine große Informationstafel, die über die Strecke und angrenzende Sehenswürdigkeiten aufklärt. Gut markiert folgen wir einem schmalen, wurzeligen Pfad in den Wald hinein. Es geht zunächst bergauf um kleine Kurven und über natürliche Stufen aus Felsbrocken und Wurzelwerk. Immer wieder eröffnet sich zur Rechten ein herrlicher Ausblick auf den Telemarkskanal, der in unergründlichem Blau tief unter uns leuchtet.
Zu beiden Seiten hängen des Öfteren Informationsschilder zur hiesigen Flora und Fauna, die daran erinnern, dass der Weg zu den beliebtesten der Region zählt. Ich muss gestehen, dass wir die meisten links liegen lassen, da wir oft tief ins Gespräch versunken sind. Das Schöne am Wandern ist, dass immer viel Raum zum Erzählen bleibt. Gerade wenn man mit Freunden unterwegs ist, die man lange nicht gesehen hat. Alte Geschichten werden neu aufgerollt und neue Erfahrungen geteilt. Johanna und Tim erzählen uns über ihre vergangenen drei Wochen Roadtrip. Wir diskutieren das Phänomen des „Wow-Effekts“. Zu Beginn eines Urlaubs wartet hinter jeder Kurve ein „Wow“, während es zum Ende hin deutlich weniger enthusiastisch ausfällt. Der „Wow-Effekt“ liegt nicht darin begründet, dass die Natur weniger beeindruckend ist, sondern dass das Gehirn irgendwann keine Schönheit mehr verarbeiten kann. Begeisterung ist wie ein Muskel. Wenn er zu früh in der Regenerationsphase erneut überreizt wird, kann er nicht den gleichen Effekt erzielen wie gänzlich erholt.
Nichtsdestotrotz genießen wir die Strecke durch diesen verwunschenen Zauberwald. Das erste Highlight lässt nicht lange auf sich warten. Die „Klyft“ ist eine ca. 20 Meter lange und zehn Meter hohe Schlucht mit knapp einem Meter Breite, die sich wie ein Tor zur Unterwelt vor uns auftut. Für Klaustrophobiker gibt es extra einen Weg außenherum, wir gehen natürlich hindurch. Es wird merklich kühler und leiser und wir fühlen uns kurzzeitig wie Aragorn, Legolas und Gimli auf der Suche nach irgendwelchen Untoten. Nach zwei Minuten ist der Spuk vorbei und die Sonne wärmt unsere Gesichter wie ein Willkommensgruß nach tagelanger Dunkelheit. Weiter geht es über den unebenen Pfad, was ein schnelles Vorankommen erschwert. Allerdings möchte man das hier auch gar nicht.
Kurz darauf erwartet uns die nächste Kuriosität. Von einem bewaldeten Felsvorsprung vor uns ragen zwei freistehende Felsnadeln in die Höhe von entfernt menschlicher Gestalt. Der Legende nach ein streitendes Trollehepaar.
Legende von Risen und Gygri
Risen, der Trollmann, war unterwegs zu seinem täglichen Trollgeschäft, während Gygri zuhause blieb und Porridge kochen sollte. Klar, klassische Rollenverteilung macht auch bei den Trollen nicht Halt. Als Risen nach Hause kam, war allerdings weder von Porridge noch von Gygri eine Spur. Gygri war nämlich selbst in den Bergen, um jemanden zu treffen. Aha, womöglich einen geheimen Verehrer? Risen rannte wütend zurück in die Wildnis und fand seine Frau schließlich auf dem höchsten Felskliff. Sie fingen an zu streiten und rissen sich gegenseitig an den Haaren bis Risen Gygri schließlich den Kopf abriss. Wohlgemerkt nachdem sie selbiges mit seinen Genitalien getan hatte. Gute Kommunikation auf jeden Fall. Seitdem stehen sie dort versteinert. Sie ohne Kopf. Er ohne Genitalien.
Nicht lange und wir kommen an einer Felsformation vorbei, die ein quadratisches Loch aufweist, hinter dem der Hang fast 600 Meter tief zum See hin abstürzt. Mit dem richtigen Blickwinkel lässt sich sogar das glitzernde Blau des Sees erkennen.
„Das wäre bestimmt ein cooles Foto, wenn man genau in dem Moment abdrückt, in dem jemand dahinter entlangspringt.“, scherzt Tim.
Freiwillige gibt es keine. Die Legende besagt, dass eine zu Tode verurteilte Jungfrau über die Spalte springen musste, um ihrem Urteil zu entgehen. Sie schaffte es, kam frei und lebte glücklich und reich bis an ihr Lebensende in den Hügeln hier oben. Die Frage, wie sie über ein vertikales Loch springen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht gelten in Legenden andere logische Gesetze.
Auf einem sonnigen Plateau mit einem Felsbrocken in der Größe eines Kleinlasters, legen wir eine Pause ein. Malte kann es nicht lassen und sucht sich die schwierigste Route über den überhängenden Teil des Blocks. In Gedenken an die arme Trollfrau Gygri taufen wir die Route „Gygris Kopf“.
Wandern macht prinzipiell hungriger als Laufen. Malte zählt an den Fingern ab, was wir noch zu Essen haben: „1 Käsebrot, 2,5 Scheiben Bananenbrot, 1 getrocknete Mango, 1 Dattel… Wir haben noch 7 Gerichte.“ Gerichte. Interessante Definition einer Dattel. Der Weg zieht sich und der Hunger wächst. Einmal nehmen wir den falschen Abzweig und laufen in die falsche Richtung. Dann kommen wir an einer kleinen Hütte vorbei, die verspäteten Wanderern ein asketisches Nachtlager bietet. Hungrig genug für zwei alte Dosen Bohnen sind wir noch nicht, aber unsere Gespräche drehen sich zunehmend um Essen.
„Ich würde jetzt gerne bei Oma auf der Terrasse sitzen an einem sonnigen Sonntagnachmittag, ihren fettigen Streuselkuchen essen und dabei diesen typischen Oma-Filterkaffe mit Kondensmilch und Süßstoff trinken.“
„Oh ja, mit diesem Gefühl für nichts Verantwortung außer für das dritte Stück Kuchen zu haben.“
Der Weg ist ab hier schwarz markiert, die schwierigste offizielle Kategorie hier in Norwegen. Tatsächlich geht es steil und unwegsam bergab und jeder Schritt ist wohlplaziert. Wir wähnen uns im letzten Abstieg hinunter nach Lårdal, aber wir sollten uns getäuscht haben. Kurz darauf geht es so steil nach oben, dass mir der Schweiß in Strömen in die Augen läuft und meine Beine anfangen zu schmerzen. Wir überholen eine ältere Frau, die ebenfalls mit dem Anstieg und der unbarmherzigen Sonne zu kämpfen hat und grüßen uns mitleidig in stillem Einvernehmen.
Aber endlich sind wir ob und dürfen den schattigen Abstieg auf der anderen Seite des Hügels genießen, nun wirklich der letzte. Malte quält ein hartnäckiger Hustenreiz, weil ihm vor zwei Stunden eine Fliege in den Hals geflogen ist.
Begleitet von wechselndem Husten und Schimpfen laufen wie die letzten zwei Kilometer auf der einzigen geteerten Straße, die nach Lårdal führt. Die hübschen Häuschen sehen verlassen aus, vielleicht nur Ferienhäuser, dafür hängen die Obstbäume in den Gärten voller Äpfel, Birnen und Pflaumen. Von Hunger getrieben setze ich einen Fuß auf ein Grundstück, das direkt an die Straße grenzt und als hätte er darauf gewartet, ertönt lautes Gebell. Erschrocken springe ich zurück. Ohne Apfel. Glücklicherweise gibt es nicht überall so gute Alarmanlagen und bis zum Seeufer haben wir uns die Bäuche mit saftigem Obst vollgeschlagen.
„Ich brauche später in meinem Garten unbedingt einen Birnbaum“, schwärmt Malte.
Völlig unverhofft erwartet uns am Fähranleger sogar noch ein richtiges, kleines Restaurant und wir bestellen uns Burger (es gibt sogar richtig gute vegetarische!), Pommes und ein Kaltgetränk. Seelig genießen wir das warme Essen, während die Fähre, die uns nach Dålen bringt, am Horizont auftaucht und langsam größer wird. In der Zwischenzeit ist auch die ältere Frau, die wir vorhin im Anstieg getroffen hatten, angekommen. Ich sehe, dass sie eine leichte Gehbehinderung hat und ziehe imaginär gleich zwei Hüte vor ihr.
Die Fähre ist ein traditionell anmutendes Boot mit passend eingekleideter Besatzung. Etwas bleich kommen Malte und Tim aus dem Schiffsbauch, wo sie die Ticktes kaufen mussten, aufs obere Deck.
„Ich glaube, ich habe gerade die Fähre gekauft.“, stammelt Tim. 40€ pro Person für 40 Minuten Fahrt sind wirklich heftig.
„Bloß nicht einschlafen!“, ermahnen wir uns gegenseitig. Diese Fahrt muss trotz Müdigkeit zwangsgenossen werden. Die Kulisse ist traumhaft und das sanfte Schaukeln des Schiffs lässt die Route wie einen Film rückwärts vorbeiziehen. Wir lassen den bewaldeten Grat mit Risen und Gygri Revue passieren, während der frische Wind die letzten Sonnenstrahlen auf den Schaumkronen tanzen lässt.
Das alles wäre wirklich fantastisch anzusehen, wenn da nicht dieser horrende Preis wäre, der sich wie eine nervige, kleine Zecke in die Idylle geheftet hat. Leise murmelnd rechnen Tim und Malte den Minutenpreis der Fährfahrt (1€ p.P.) in griechisches Bier um. Sie kommen auf zwei Kästen/ Minute/ Person. Ich hinterfrage die Rechnung lieber nicht. Johanna erwähnt stattdessen den Champus, den es hier gibt und das Flair einer 40€ teuren Fährfahrt wunderbar abrunden würde.
Schließlich legt die Henrik Ibsen in Dalens Hafen an und ein Page (natürlich in voller Pagenmontur des 19. Jahrhunderts) des einzigen Dalener Hotels in imposanter Drachen-Optik wartet auf die Hotelgäste, die aus allen Orten entlang des Telemarkskanals anreisen. Die Fähre fährt nämlich nur einmal täglich von Skien bis nach Dalen durch den 105 Kilometer langen Telemarkskanal, der mit insgesamt 18 Schleusenstufen 72 Höhenmeter überwindet.
Zum Abschluss des Tages gönnen wir uns die hotelzugehörige Soria Moria Sauna, die malerisch auf einem Steg in den See hinein gebaut ist. Verhältnismäßig günstig mit 30€ für zwei Stunden genießen wir die entspannende Wärme und die Kühle des Sees und lassen den Abend mit Blick auf den mit Abendsonne vergoldeten Lårdalstigen ausklingen.
Fazit: Touristisch angehauchte, aber sehr lohnensewerte One-Way Tour von Lårdal nach Dalen mit herausragendem Blick auf den Telemarkskanal.
Verpflegung, Snacks und co.:
Frühstück: Norwegisches Trinkjoghurt, Haferflocken, Pfirsich, Erdnussbutter, Granola
Snacks: Datteln, getrocknete Mango, Bananenbrot, hausgemachter Karamell-Brownie aus einem niedlichen Cafe in Vrådal (Vorsicht, Augenkringel-Effekt!)
Danach: Frisches Fallobst, Burger mit Pommes
*Einschätzungen beruhen auf meiner subjektiven Wahrnehmung, NICHT auf offiziellen Schwierigkeitsskalen
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