Dreckig. Durstig. Denkwürdig.
Touren-Quickie
33 Km
2.600 Hm
7,5h
Startpunkt Lauf: 47.558728, 10.213751
Aussicht: 9/10
Laufbarkeit: 3/10 (Winter)
Schwierigkeit: 5/10*
Highlights
- (die) schönste Gratwanderung des Allgäus
- fast 20 Kilometer Gratgenuss
- 17 Gipfel auf einem Grat
- zwischendrin immer wieder Möglichkeiten, abzusteigen/ abzukürzen bzw. die Tour in mehreren Etappen zu gehen
Lowlights
- um den Hochgrat herum viel Tourismus
- keine Verkehrsanbindnung vom westlichen Ende der Überschreitung (Trampen/ Taxi/ 2. Auto notwendig)
Es ist der letzte Tag des Jahres und wie könnte man dieses besser beenden als in den Bergen bei einer ausgedehnten Tour. Da es ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit und der meiste Schnee unterhalb von 2000 Metern somit geschmolzen ist, haben wir uns die lange, aber wunderschöne Überschreitung der gesamten Nagelfluhkette vorgenommen. Selbst im Sommer ist die über 30 Kilometer lange Strecke für viele zwei oder gar drei Etappen wert. Wir wollen sie heute im „Winter“ am Stück laufen, einmal von Immenstadt bis zum Hochhäderich und hinunter ins Tal. Aufgrund des kurzen aber knackigen Wintereinbruchs vor zwei Wochen hätten wir nicht gedacht, dass wir eine Tour dieser Länge dieses Jahr noch schaffen würden. Aber sehr zum Verdruss der Wintersportler hat uns der Wettergott zumindest diesbezüglich in die Karten gespielt.
Wie so oft brechen wir wieder im Dunkeln auf. Wir fahren nach Oberstaufen, wo wir mit mulmigem Gefühl auf dem Privatparkplatz einer Kanzlei parken, die samstags eigentlich geschlossen haben müsste. Mit dem ersten Zug überwinden wir die kurze Strecke nach Immenstadt und starten kurz nach sieben Uhr in den leichten Nieselregen. Der stört uns zunächst nicht weiter. Bis neun Uhr war sowieso Regen angesagt und da es bergauf geht, wird uns schnell warm. Während wir teils über eine Forststraße teils über den wurzeligen Wanderpfad an Höhe gewinnen, wird es langsam heller, aber nicht wirklich freundlicher. Über den Himmel jagen graue Wolkenfetzen und je nachdem auf welcher Bergseite wir laufen, wachsen sich die Böen zu einem richtigen Sturm aus. Der Spielplatz aus rostigen Gondeln und ausrangierten Liftsesseln an der Alpe Mittag bietet in diesem windgepeitschten Szenario einen eher schaurigen Anblick. Schnell lassen wir den ersten von 17 Gipfeln hinter uns.
Kurz vor unserem zweiten Berg, dem Bärenköpfle, kommt uns ein junges Pärchen entgegengewandert, das ebenfalls ziemlich nass ausschaut. „Noch so zwei Verrückte!“, ruft Malte ihnen hinterher, bekommt allerdings keine Antwort. Wer weiß, wo die schon waren heute.
Der Regen hat den Boden in eine Ruschbahn verwandelt und kurz vor dem Gipfelkreuz des Bärenköpfles haut es mich das erste Mal so richtig in den Dreck. Meine Motivation sinkt drastisch und kurzzeitig habe ich, salopp gesagt, keinen Bock mehr. Es ist kalt, nass und windig und jetzt bin ich auch noch von oben bis unten schlammverschmiert. Die Aussicht, dass es jetzt die nächsten sechs Stunden in dieser Manier weitergeht, ist nicht sonderlich verlockend.
Malte überlegt seit fünf Minuten, ob er seine Handschuhe nun aus oder anziehen soll. Dafür spricht, dass es wärmer wäre an den Händen; dagegen, dass es regnet und sie sich vollsaugen würden. Ich werfe ihm einen angesäuerten Blick zu und laufe weiter, bevor ich es mir anders überlege. Mit weniger Gefälle aber nicht weniger rutschig, straucheln wir weiter bis zum Steineberg. Die Besonderheit dieses Gipfels besteht in der Möglichkeit, ihn über eine 17 Meter hohe, senkrechte Leiter zu erklimmen. 17 Meter hören sich zunächst nicht so hoch an. In der Realität sind 17 Meter glitschige Metallstreben eine andere Geschichte. Es gäbe auch die Alternative eines einfacheren Weges außen herum, aber die Blöße wollen wir uns natürlich nicht geben. Mit den Stöcken in der einen Hand setze ich meinen Fuß auf die erste Strebe und kralle mich mit der anderen an das nasse Metall. Vorsichtig setzte ich einen Fuß nach dem anderen. Solange ich nicht nach unten schaue, ist es gar nicht so schwer und ich vergesse, dass ich ungesichert und einhändig eine schmale Metallleiter emporkraxele. Als ich mich endlich über die Kante hieve, bläst mich der Wind beinahe wieder die Leiter hinunter. So schön, wie Gipfel sind, so windig sind sie leider auch. Als Malte ebenfalls über die Kante geklettert ist, zaudern wir nicht lange und laufen nun auf dem richtigen Grat der Nagelfluhkette in Richtung Steinköpfle.
Teils ist der Grat sehr schmal und fällt auf beiden Seiten so steil ab, dass meine Tiefenwahrnehmung seltsam verzogen wirkt. Es erinnert mich an diese Videos, die mit einer Fischaugen-Perspektive gefilmt sind. Ein befreiendes Gefühl überkommt mich. Das einzig Bedeutsame ist die Präzison des nächsten Schrittes. Kurz darauf erklimmen wir den Stuiben, nach dem es durch ein paar hartnäckige Schneefelder hinüber zum Sederer Stuiben geht. In einiger Entfernung ragt bereits das Rinderalphorn auf, dass mit über 1800 Metern zu den drei größten Bergen der Kette gehört. Die Sonne traut sich immer öfter hinter vorbeihuschenden Wolkenbergen hindurch. Der Grat dehnt sich zu einem breiten, grasigen Rücken aus und über ausladende Wiesenflächen geht es bergab. Langsam merke ich, dass wir seit sieben Uhr auf den Beinen sind und der Buralpkopf und Gündleskopf rauschen vorbei ohne wirklich Aufsehen zu erregen. Das nächste Zwischenziel ist definitiv das Rindalphorn, dessen Kreuz wir schon von weitem sehen. Ich verfluche ein wenig die Wegführung, die uns 200 Meter absteigen lässt, was auf dem schmierigen Gras keine Freude ist. Malte reißt es auf einem tauenden Schneefeld das Bein weg und ich bin froh, dass ich heute nicht die Einzige bin, die im Dreck gelandet ist (dieser Gedanke, sollte sich später noch rächen).
In gleißendem Sonnenschein nähern wir uns nun dem Rindalphorn. Der Pfad führt durch eine steile Rinne, die aufgrund ihrer nördlichen Ausrichtung und zu unserem Verdruss noch völlig zugeschneit ist. Deshalb entscheiden wir uns, über den angrenzenden Hang, der zwar steiler aber schneefrei ist, aufzusteigen. Malte wird allerdings zunehmend stiller. Ihm behagt dieser Hang ganz und gar nicht. Seltsamerweise fühle ich mich völlig sicher.
„Guck bitte ganz genau, wo du hintrittst!“, ermahnt er mich, als er mich beim Herumschauen erwischt. Oben angekommen erklärt er, dass er den Steinen und lockeren Grasbüscheln misstraut hat. Und er hat ja Recht; es braucht nur ein Stein locker sein und abrutschen und zack, weg wäre man. Ein Sturz von hier wäre nicht tödlich, aber doch mit unschönen Konsequenzen verbunden. Glücklicherweise ist nichts passiert, aber es ist uns doch eine Lehre, vorsichtig zu sein und einem unguten Bauchgefühl zu trauen. Erleichterung durchflutet mich, als der Hochgrat, der höchste und imposanteste Gipfel, gar nicht mehr so weit entfernt wirkt. Mit neuer Energie und Motivation laufen wir bergab in Richtung Brunnenauscharte. Der Aufstieg über die Brunnenaualpe ist aktuell wegen Murenabbruchs gesperrt.
Je näher wir dem Hochgrat kommen, desto deutlicher wird, dass wir uns in besser bewirteten und ausgebauten Regionen der Nagelfluhkette befinden. Uns kommen zwei Schneeschuhwanderer entgegen (meiner Meinung nach die falsche Schuhwahl bei den dürftigen Schneeresten; wir haben nicht mal die Grödel gebraucht, die ich gestern noch teuer erstanden habe). Kurz darauf passieren wir ein Grüppchen Frauen, das gemütlich in der Sonne am Hang sitzt. Ein paar Meter hinter ihnen rutsche ich aus und stehe in Sekundenschnelle wieder auf den Füßen in der Hoffnung, dass mein wenig eleganter Ausrutscher unbemerkt geblieben ist.
Der Aufstieg zum Hochgrat verläuft weitestgehend einfach über breite, gut ausgebaute Stufen und es dauert nicht lange und wir hören den Gipfel, bevor wir ihn sehen. Der Anblick selbst hat nicht viel mit einsamen, romantischem Gipfelglück gemein. Es tummeln sich dort um die 30 Menschen allen Alters und Geschlechts. Ein Seniorenpaar bedenkt uns mit bewundernden Blicken, als wir erzählen, dass wir in der Früh aus Immenstadt aufgebrochen sind. Ein junger Mann zieht obenrum blank und posiert in der klassischen Guck-meinen-krassen-Bizeps-an-Pumper-Pose vor dem atemberaubenden Panorama. Wer´s braucht…
Wir lassen uns etwas abseits neben einer Frau mit einem liebenswürdigen Labrador nieder. Diese Menschenmassen hier oben sind mir völlig fremd. Die letzten Stunden der Einsamkeit wirken viel präsenter und fühlbarer. Wir stärken uns mit einer Brezel, die der Labador mit großen, braunen Augen betrachtet, als könnte er sie durch bloßes Starren in seine Richtung bewegen. Die Sonne scheint zwar, aber durch den Wind wird es trotzdem langsam kalt und wir brechen auf bergab zur Hochgrat-Bergstation. Immer wieder weichen wir Familien oder jungen Paaren in Sneakern mit Louis-Vuitton-Tasche aus, die uns leicht irritiert anstarren. Ich bin allerdings viel zu sehr damit beschäftigt, nicht vor versammelter Masse auszurutschen und die Comedy-Show des Tages abzuliefern.
Malte, dem der Downhill mehr liegt, wartet bereits am Restaurant angrenzenden Spielplatz. Er hat sich, wie es scheint, einen kleinen neuen Freund gesucht. Der kleine Junge guckt aus großen, anhimmelnden Augen zu ihm hoch. Ich muss lächeln, was mir allerdings schnell vergeht, als der Duft nach Kaiserschmarrn, Käsespätzle und Knödeln aus dem Restaurant herüberwabert. Meine ausgehungerten Geschmacksnerven schlagen sofort Alarm. Es wäre so einfach… Erst essen und dann entspannt mit der Bahn ins Tal…
Der Blick auf die überfüllte Sonnenterasse holt uns allerdings in die Realität zurück. Da die Seilbahn fährt, treibt sich an einem herrlichen Tag wie heute gefühlt die halbe Welt hier herum. Und so laufen wir weiter in alter Manier in Richtung Seelenkopf. Da wir uns immer noch im Dunstkreis des Hochgrats bewegen, begegnen uns alte und junge Paare, Familien, Studentengrüppchen, sowie ein paar verstreute Einzelgänger. Der Blick nach links in Richtung Österreich geht weit. Direkt im Süden thront der Hohe Ifen und ganz in der Ferne ein Stück weiter östlich lässt sich der markante Hochvogel erahnen. Trotz der Erschöpfung macht die Nagelfluhkette sich als schönste Gratwanderung des Allgäus alle Ehre. Da wir die Baumgrenze kurz unterhalb des Hochgrat wieder überquert haben, schlängelt sich der Pfad immer wieder über dicke Wurzeln und um knorrige Stämme herum. Wir passieren den unspektakulären Hohenfluhalpkopf und kraxeln den kurzen Extra-Anstieg bis zur Rohnehöhe hinauf. Nun fehlen uns nur noch der Auf dem Falken (ja, der Berg heißt wirklich so) und zu guter Letzt der Hochhäderich.
Mit Schrecken stelle ich fest, dass meine Trinkblase fast leer ist und nach ein paar verzweifelt gurgelnden Trinkversuchen gebe ich auf. Das ist nicht gut. Wir haben noch circa neun Kilometer und somit bestimmt 1,5 Stunden vor uns. Auch bei Malte sind die Reserven zur Neige gegangen und nach dem schweißtreibenden Aufstieg zum Auf dem Falken völlig erschöpft. Auf dem Abstieg über eine zerfurchte, hügelige Wiese, im Sommer vermutlich Kuhweide, entdeckt Malte ein abgebrochenes Rohr, aus dem, so scheint es, frisches Wasser sprudelt. Misstrauisch beäuge ich die grünlichen Ablagerungen am Rand des Rohres und denke an die zahlreichen Gamshäufchen auf dem Pfad, in die wir vorhin unvermeidbar getreten sind. Andererseits habe ich Durst.
„Was soll denn in dem Wasser sein?“, meint Malte, „Darüber ist doch gar nichts mehr. Das ist sozusagen die Quelle.“
Ich beschließe, ihm zu vertrauen und probiere einen Schluck. Tatsächlich schmeckt es hervorragend und augenblicklich verdränge ich jegliche Gedanken an potenzielle Infektionskrankheiten. Erfrischt laufen wir weiter. Wir passieren mehrere Schilder, die einen sehr weit gefassten Zeitbegriff für den Weg zum Hochhäderich besitzen. Auf dem ersten steht 50 Minuten, eine gute halbe Stunde später kündigt ein Schild immer noch 45 Minuten an und zu guter Letzt sagt uns eins noch einen Aufstieg von einer Stunde vorher. Gehen wir überhaupt in die richtige Richtung? Etwas verwundert, aber zu erschöpft, um weiter über dieses ominöse Schilderrätsel nachzudenken, entscheiden wir uns für den Weg „Für Geübte“, der laut Beschreibung mit alpinen Gefahren aufwartet. Wenn schon, dann richtig. Die alpinen Gefahren entpuppen sich als zwei etwa zehn Meter hohe, 90° steile Abstiege, die jeweils mit einem Seil gesichert sind. Normalerweise kein Problem stellen diese zwei Kletterpassagen für die etwas überreizten Motoneuronen meiner Beine nun eine kleine Herausforderung dar. Mit einer Hand am Seil, in der anderen die Stöcke suche ich mir auf rutschigen Sohlen vorsichtig geeignete Tritte. Unten angekommen atme ich tief durch und nehme mir einen Moment der Wertschätzung für dieses faszinierende Zusammenspiel von Körper, Natur und Hingabe, dass mir Tage wie heute ermöglicht.
Gut zum Angeben!
Die Nagelfuh, die diesem Grat seinen Namen verleiht, ist eine Gesteinsart, die vor allem im Alpenvorland auftritt. Es handelt sich um ein Konglomerat aus Flusskieseln und einem Bindemittel, meist Kalk, manchmal Dolomit oder Quarz. Enstanden ist es vor etwas 2,6 Millionen Jahren im Quartär. Der Name rührt von dem charakteristischen Aussehen des Gesteins. Die runden Flusskiesel wirken wie Nagelköpfe, die in den Fels geschlagen wurden. Nach dem 2. Weltkrieg diente das markante Gestein auch zum Bau von Kirchen oder Außenfassaden von beispielsweise Wohnhäusern.
Wir überholen ein älteres Paar, dass uns für unsere Schnelligkeit bewundert (die Assoziation wäre mir nicht unbedingt als erstes bei unserem Anblick gekommen) und kraxeln am typischen Nagelfluhgestein den Hochhäderich hinauf. Der Weg führt über einen waldigen, schroffen Grat und schließlich aus den Bäumen hinaus. Der Blick wird frei auf das für heute letzte Gipfelkreuz und ich könnte nicht sagen, dass es mich nicht auch freuen würde. Ein riesiger, haariger Hund mit Bandana um den Hals springt behände von Felsen zu Felsen. Wir genießen den Ausblick, während ein Vater mit seinen jugendlichen Töchtern dazustößt.
„Hat´s di hingelegt?“, fragt er mit dem typischen allgäuer Akzent und ich habe zunächst Mühe ihn überhaupt zu verstehen. Nach so vielen Stunden in denen ich nur mit Laufen, Gucken und Nicht-Stolpern beschäftigt war, kommt meine soziale Festplatte eher stockend in Gang, ganz zu schweigen von rhetorischen Fragen.
„Äh ja, mehrmals.“, antworte ich mit unsicherem Lächeln, obwohl mir eher etwas wie „Nein, ich habe mir den Hintern absichtlich mit Schlamm beschmiert, das trägt man unter uns Läufern heute so.“ auf der Zunge liegt.
Leider ist uns auch jetzt kein entspannter Abstieg vergönnt und der Weg knickt auf einen schlammigen, grasigen Hang ab mit 100 Prozent Sturzpotential. Natürlich folgt, was folgen musste und ich knalle der Länge nach hin. Zu meinem eh schon dreckigen Hintern gesellen sich nun auch ein dreckiges Bein und eine völlig verschlammte Jacke. Mein inneres Kind zieht die Reißleine und tut, was es am besten kann: Weinen. Schreck, Schmerz und Erschöpfung lassen mich manchmal etwas nah am Wasser gebaut sein.
„So nimmt mich doch keiner mit und ich kann nicht mehr die ganze Strecke bis nach Oberstaufen laufen.“, schluchze ich mit kindlicher Verzweiflung und dem Gedanken an unser Auto, das ja noch in Oberstaufen steht und zu dem wie irgendwie später noch per Taxi oder Trampen kommen müssen. Malte beruhigt mich, dass zur Not er das Auto holen würde, und nach einer Minute bin ich soweit, dass ich weiter absteigen kann. Im Nachhinein ist mir der ganze Ausbruch etwas peinlich, aber in der Situation war die gefühlte Verzweiflung durchaus real. Ich verfluche die schlammigen Bodenverhältnisse und mein abgelaufenes Profil, weshalb sich der ganze Abstieg so in die Länge zieht.
Endlich erreichen wir festen Boden und das Almhotel Hochhäderich, dass ein wenig wie ein Fremdkörper hier mitten in den Bergen thront. Auf der angrenzenden Skipiste, die sich wie eine weiße Schlange durch die ansonsten grünen Hänge zieht, fahren tatsächlich ein paar sehr verzweifelte Skifahrer.
„Das kann doch keinen Spaß machen.“, brummt Malte skeptisch.
Durch die Panoramafenster des Hotels kann ich die Silhouetten von Menschen in Bademänteln auf Liegestühlen oder gemächlich dahinschlappend in weißen Latschen auf dem Weg zur Sauna oder nächsten Anwendung ausmachen. Diese Welt dort drinnen scheint hier draußen so fern mit unseren dreckigen, verschwitzen Klamotten, dem leicht überirdischen Blick, wenn die Augen seit Stunden unablässig den Boden abscannen und die Informationen vom Hirn zu den Füßen weiterleiten. Tatsächlich müssen wir noch einmal ein kurzes Stück bergan und meine Beine protestieren. Aber nichts könnte mich jetzt noch aufhalten.
Wir durchqueren den Aussichtspunkt „Steinernes Tor“ und endlich geht es nur noch bergab. Ich blinzele mehrmals, denn meine Sicht wirkt irgendwie abgehackt oder verschoben als würde ich keinen zusammenhängenden Film, sondern einzelne Bilder sehen. Die Forststraße wird zu Asphalt und wir passieren ein paar Höfe. Aus einer Einfahrt stürmt plötzlich wie wild geworden eine schwarze Ziege auf uns zu. Der Anblick ist so skurril, dass ich Malte frage, ob er die Ziege auch sieht. Tut er Gott sei Dank. Dass ich keine Halluzinationen habe, macht die Tatsache, dass eine reale, schwarze Ziege auf uns zusprintet, nicht weniger beunruhigend. Schnell rennen wir weiter und nach ein paar Metern bleibt das schwarze Ungetüm stehen, als hätte es erfolgreich die Grenzen seines Territoriums verteidigt. Die Straße mündet in einen kleinen Ort und ehe wir uns versehen, erreichen wir die L205, die direkt nach Oberstaufen führt. Über diesen Teil der Tour hatten wir uns bisher nur vage Gedanken gemacht. Der nächste Bus fährt laut Zeitplan an dem kleinen Bushäuschen in einer Stunde. Und selbst darauf würde ich mich in der ländlichen Gegend hier nicht unbedingt verlassen wollen. Unabhängig davon wäre eine Stunde ungewiss in der Kälte zu warten nicht wirklich meine Traumvorstellung an einem Silvesterabend. Die Alternativen wären Taxi oder Trampen, wobei ich mir bei Beidem nicht sicher bin, ob uns jemand mitnehmen würden, so wie wir, okay, vor allem ich, aussehen. Ohne viel Hoffnung hält Malte kurzerhand den Daumen hoch. Nach einer Sekunde, in der es scheint, als würde er vorbeifahren, bremst ein roter Skoda mit einer schwungvollen Kurve neben uns ab. Träume ich oder hält hier gerade wirklich das erste Auto, bei dem wir den Daumen rausgehalten haben?
Ein junger Mann mit blondem Wuschelkopf springt heraus und schmeißt ein paar Sachen von seiner Rückbank. Ich quetsche mich neben ein paar Ski und allerlei anderem Outdoorkram auf die etwas schmuddelige Rückbank. Malte steigt vorne ein und entschuldigt sich mehrfach für unseren weniger gut riechenden Zustand. Unser Retter stellt sich als Mathias vor, der in seiner Freizeit Ranger der Nagelfluhkette und begeisterter Skifahrer ist. Am liebsten hätte ich laut gelacht, wegen dieses wunderlichen Wink des Schicksals, das auf die eine oder andere Weise immer wieder für einen Überraschungsmoment sorgt. Wie wahrscheinlich ist es, dass im ersten Auto, das vorbeifährt ein Ranger der Nagelfluhkette, über die wir heute gelaufen sind, mit Skifahrbegeisterung sitzt? Entsprechend cool findet er natürlich auch unsere Tour und fährt uns sogar noch bis zum Bahnhof nach Oberstaufen hinein. An dieser Stelle gehen auf jeden Fall noch einmal ganz herzliche Grüße und Dank raus an Mathias, der uns mit seinem Fahrdienst den Tag gerettet hat.
Unser Auto steht Gott sei Dank noch genauso da wie heute morgen und wir tuckern gemütlich im goldenen Abendlicht nach Hause. Unser Blick schweift zu den Bergen, über die wir heute gelaufen sind und uns erfüllt eine tiefe, zufriedene Gewissheit, auf einem weiteren Flecken dieser Erde dem Himmel ein Stück näher gekommen zu sein. Um es in den Worten meiner Oma auszudrücken, die in ihrer Demenz zur Philosophin wurde: „Da kommt das Danke von ganz allein in den Körper zurück.“
Verpflegung, Snacks und co.:
Frühstück: Overnight-Oats mit geriebenem Apfel, gerösteten Mandeln, Leinsamen und Erdnussbutter
Snacks: Laugenbrezel, Flapjacks, Energiegels, Schokolade
Danach: Pizza, Tartufo und Aperol! Cheers und ein frohes Neues!
*Einschätzungen beruhen auf meiner subjektiven Wahrnehmung, NICHT auf offiziellen Schwierigkeitsskalen
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