Heiss, Herzerwärmend, Hintenraus Hart
Touren-Quickie
35 Km
1.600 Hm
5h 40m
Startpunkt Wanderung: 59.317118, 8.479703
Aussicht: 9/10
Laufbarkeit: 6,5/10
Schwierigkeit (Terrain)*: 7,5/10
Higlights
- überragende Aussicht
- Besonderheit: Zwillingsgipfel
- Möglichkeit nur einen Gipfel zu überschreiten und dann abzusteigen
Lowlights
- nicht-laufbarer, unangenehmer Downhill vom Ostgipfel
- Verbindungsweg zwischen West- und Ostgipfel nicht auf Karten zu finden (obwohl Markierungen vorhanden)
Der zweite 30er dieses Urlaubs steht für heute auf dem Programm. Ziel ist die Überschreitung der beiden benachbarten Gipfel des Roholtfjells, das wie ein zweiköpfiger Riese über dem See Nisser aufragt. Geplant sind 35 Kilometer. Mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magengegend, in das sich Aufregung, Vorfreude und eine Prise Zweifel mischt, starten wir in einen frischen Morgen.
Nach zwei Kilometern erwartet uns der erste steile Anstieg. Dem Höhenprofil nach zu urteilen, geht es genauso weiter bis auf den Westgipfel des Roholtfjells mit knapp über 1000 Metern. Aktuell befinden wir uns auf etwas über 200. Also zücken wir unsere ultraleichten Trekkingstöcke, schließlich ist beim modernen Trailläufer alles ultraleicht. Aus einer Mischung Schlurf-Jogging und Speed-Hiking arbeiten wir uns den Berg hinauf. Die Sonne knallt und es dauert nicht lange und mir läuft der Schweiß, versetzt mit einer Note Sonnencreme, in die Augen.
Dafür mutet der Trail selbst wild und urtümlich an. Zwischen steil und wurzelig wechselnd und gemächlich steigend und moosig zieht sich der Pfad durch den Wald in einem großen Bogen auf das Roholtfjell zu. Häufig ist der Weg so überwuchert, dass nur ein sehr langsames Vorankommen möglich ist. Ich frage mich, ob es tatsächlich Läufer gibt, die hier noch laufen können. Ich gehöre mit Sicherheit nicht dazu. Der Untergrund wird erst einfacher als wir die sanft geschwungenen Felsplatten erreichen, die sich über den gesamten Gipfelbereich des Roholtfjells ziehen. Wir klappen unsere Stöcke ein, die kläglich an dem glatten Stein abrutschen und bringen unsere Oberschenkel auf den letzten Metern zum Gipfel nochmal zum Brennen. Oben angekommen können wir uns wie so oft in Norwegen nicht satt sehen an dem überwältigenden Panoramablick, der sich jedem bietet, der es bis hier geschafft hat. Der Blick auf die Uhr ist allerdings weniger erfreulich: Über 2 Stunden für gerade mal 12 Kilometer. Dafür schon knapp 1000 Höhenmeter in den Beinen, die sich entsprechend anfühlen. Nach einem fixen Eintrag ins Gipfelbuch steigen wir etwa 150 Höhenmeter ab, um danach den östlichen Gipfel in Angriff zu nehmen.
In der Senke zwischen den Gipfel kommt es zur ersten Auseinandersetzung zwischen Malte und mir. Malte möchte unbedingt die Route über den Grat laufen, die er im Vorhinein geplant hat, ich bin dafür, dem offiziell ausgeschilderten Pfad zu folgen.
„Glaub mir, das ist viel schöner über den Grat.“, argumentiert er.
„Lass uns doch bitte einfach den offiziellen Markierungen folgen.“, brause ich auf, leicht genervt, weil wir bis hierhin bereits so lange gebraucht haben. „Du weißt doch gar nicht, ob der Grat überhaupt passierbar ist.“
„Doch, ich habe mir das vom anderen Gipfel aus angesehen.“
Sehr vertrauenserweckend.
„Guck, da kommen sogar Leute und da ist AUCH eine rote Markierung.“, trumpft er auf und deutet auf ein rotes „T“ in einiger Entfernung. Mit diesen Worten läuft er los in besagte Richtung. Einen inneren Entscheidungskonflikt ausfechtend folge ich schließlich mit imaginären Rauchwölkchen über dem Kopf. Bei einer besonders großen Stufe hält Malte mir versöhnlich die Hand hin. Ich ignoriere sie geflissentlich und hieve mich selbstständig an einem Grasbüschel zerrend nach oben.
„Sei doch nicht so stur!“, seufzt er.
„Ich bin aber stur!“ Keine Ahnung, wo das jetzt wieder herkam, aber in diesem Moment fühlt es sich genau richtig an.
Auf dem Ostgipfel angekommen treffen wir eine holländische Familie mit einem etwa 12-jährigen Sohn an. Der Vater vergleicht Malte im Scherz mit Kilian Jornet, der kurz zuvor den UTMB, König unter den Ultratrails am Mont Blanc, gewonnen hat. Wir unterhalten uns über unseren Urlaub hier und die Schönheit Norwegens. Es ist für mich immer wieder eine Freude, solche kleinen Momente der Freundschaft mit anderen zu teilen, wohlwissend, dass man sich wahrscheinlich niemals wieder sehen wird. „Auf Wiedersehen!“, ruft uns der Vater auf Deutsch hinterher. Ich muss lächeln.
Im Anbetracht der nächsten Kilometer verrutscht mein Lächeln allerdings etwas. Es wird extrem steil, nass und rutschig. Ich schaffe es, fünfmal in zehn Minuten in allen erdenklichen Varianten auszurutschen. Tränen der Wut auf diesen verdammten Pfad und meine eigene Tollpatschigkeit schießen mir in die Augen. Malte, ganz der heldenhafte Freund, stellt mich jedes Mal auf die Füße und ermahnt mich, vorsichtig zu sein. Trotzdem lasse ich einen Teil meiner Würde auf diesem Downhill. „Ich fühle mich wie ein wabbeliges Walross ohne Körperspannung.“, bricht es aus mir hinaus nach einem besonders miesen Sturz. Malte schaut mich mitleidig an. Beim Laufen werde ich immer emotional. Nicht besonders reflektiert, aber zumindest ehrlich. Es kann durchaus schnell von einem Gefühlshoch in ein Motivationstief wechseln. Und umgekehrt.
Als der Weg wieder etwas laufbarer und flacher wird, kommen wir an einem Seniorenehepaar vorbei, die uns irgendetwas auf Norwegisch fragen. Ich bilde mir ein „Wart ihr auf dem Roholtfjell?“ zu verstehen und antworte selbstbewusst mit „Ja“, bevor Malte zu unserer Standardantwort „Sorry, we are from Germany.“ ansetzen kann.
„Ich habe ganz vergessen, du kannst ja Norwegisch.“, meint er lachend.
Ich verfüge über gewisse Grundkenntnisse, aber verstehe in Realität de facto meistens nichts, aufgrund zahlloser verschiedener Dialekte.
„Wer weiß, wo du die gerade hingeschickt hast.“, fügt er feixend hinzu.
Wir haben nun die Hälfte der Kilometer und endlich „flowt“ der Trail bis hinunter ins Tal, wo wir auf den See stoßen, in dem unser Feriendomizil auf einer kleinen Insel liegt. Es wäre jetzt so einfach. Aber nichts da, ohne mit der Wimper zu zucken, kämpfen wir uns erneut den Berg hinauf. Die letzten 12 Kilometer und 400 Höhenmeter wollen absolviert werden. Wegen der Hitze bahnen sich langsam aber sicher Kopfschmerzen an.
„Was sind eigentlich deine Copingstrategien beim Laufen?“, frage ich, um mich abzulenken.
„Also gerade genieße ich nur den Lauf.“
Schön. Wenigstens einer von uns. Die Höhenmeter ziehen sich wie Kaugummi und wir treffen auf denselben Weg, den wir heute morgen schon einmal gelaufen sind. Aber jeder Anstieg hat irgendwann ein Ende. Der Weg taucht in einen schmalen, schattigen Waldpfad ein und wir genießen einen zunächst sehr technischen, dann sehr flowigen Downhill bis hinunter auf Seehöhe.
Trotz Erschöpfung laufen meine Beine weiter. Manchmal scheint es, sie würden dies automatisch tun, einfach weil sie es die letzten 5 Stunden auch schon getan haben. Die letzten 5 Kilometer verlaufen größtenteils flach am Seeufer entlang zurück auf die heimische Insel. In unserem Rücken gucken wie zwei riesige Köpfe die Zwillingsgipfel des Roholtfjells auf uns hinunter. „Erstaunlich. Da sind wir heute schon überall drübergelaufen.“, sinniert Malte. Fasziniert lasse ich meinen Blick schweifen, lasse die Tour Revue passieren, während meine Beine wie ferngesteuert die letzten 2 Kilometer laufen. Die vergangenen Stunden scheinen mir wie Tage, so lang. Ein Grund, warum ich das Laufen so liebe. Auf seine ganz eigene Art verlängert es das Leben, da jede Sekunde mit einem Maximum an Erinnerung, Gefühlen und Schönheit gefüllt ist.
Verpflegung, Snacks & Co.:
Frühstück: Porridge mit Nektarine, Walnüssen, Leinsamen, norwegischer Keksschokolade
Snacks: 3 Gels, 1 Dattel, 1/2 Haferflockenriegel, 1 Energieriegel (ca. 700 Kcal)
danach: Bananenbrot, Gurke mit Salz und Pfeffer, 1 kl. Handvoll Cashews
*Einschätzungen beruhen auf meiner subjektiven Wahrnehmung, NICHT auf offiziellen Schwierigkeitsskalen
Leave A Reply