Waldig, Wurzelig, Wiederholt weglos
Touren-Quickie

Kanu: ca. 4 Km (2x)
Wanderung: 14,50 Km
1.000 Hm
4h
Startpunkt Wanderung: 59.295913, 8.532497
Aussicht: 8/10
Wegmarkierung: 6/10
Schwierigkeit: 6/10 (die ersten 5km eher 8/10)*
Highlights
- Tour auf Wasser und Land
- Spannende Felsformationen
- Rundumblick auf Gipfel
- Geheimtipp
Lowlights
- Wegfindung nur mit GPS möglich (von unserem Startpunkt aus)
- Wege teils sehr kaputt
Letztes Jahr riefen Malte und ich den sogenannten BoatTrail ins Leben, eine Kombination aus Bootfahren und Laufen bzw. Wandern. Dies hatte sich aus der Not heraus ergeben, dass der Startpunkt unseres Laufs nur sehr umständlich mit dem Auto zu erreichen war. Im seereichen Norwegen ist es somit von Vorteil, ein Boot im Gepäck zu haben. Ein essenzielles Tool, ohne das sich die Bootsfahrt hier einem Verbrechen gleichkommt, ist die Schwimmweste. Diese Erfahrung mussten wir gleich zu Beginn des Urlaubs machen, als wir ohne Schwimmweste mit dem Boot beim am wassergelegenen Joker aufkreuzten. Unter zutiefst verächtlichen Blicken, geoutet als Touris, schaukelten wir bedrohlich unter der Last der Einkäufe schwankend von dannen.
Merke: In Norwegen nur mit Schwimmweste Bootfahren. Sie besitzt in etwa denselben Status wie der Skihelm bei uns. Wahlweise im modischen neongelb oder marineblau wird das modische Teil auch im Supermarkt oder beim Eisessen angelassen.
So paddelten mein Papa und ich vorbildlich eingekleidet mit Schwimmweste in Richtung Südwesten auf dem angrenzenden See Nisser. Der Nisser ist ein etwa 35 Kilometer langer See, der sich von Vrådal im Norden bis Tveitsund im Süden erstreckt. An der tiefsten Stelle ist er über 200 Meter tief. Der Name stammt aus dem Altnorwegischen und bedeutet soviel wie „brausender See“.
Bisher verhält sich der brausende See allerdings sehr ruhig. Es ist, als würden wir über einen Spiegel gleiten, so glatt ruht das Wasser vor uns. Der See malt mit den umliegenden Wäldern, Hügeln und Häuschen eine zweite, auf dem Kopf stehende Welt vor uns. Eine geheimnisvolle Welt, die der Bug unseres Boots gurgelnd und glucksend aufwirbelt, während sich hinter uns die perfekte Illusion langsam wieder schließt.
Die Idylle wird jäh unterbrochen von einer hilflos zappelnden kleinen Fliege, die hier draußen völlig verloren wirkt. Wir gleiten vorüber und ich bekomme Mitleid.
„Komm, wir könnten sie immer noch retten.“
Mein Papa hält anscheinend nicht viel von der Idee.
„Die holt sich der nächste Fisch.“
Also keine Fliegenrettungsaktion. Kurz darauf erspähe ich das nächste um sein Leben paddelnde Ding vor uns. Diesmal bin ich vorbereitet und befördere den kleinen Freund mit einem heldenhaften Schwung meines Paddels auf den Bug, wo es verdattert seine Beinchen sortiert.
„Jetzt haben wir sogar eine Gallionsfigur!“, freue ich mich.
Die kleine Fliege hält anscheinend nicht viel von ihrer neuen Rolle und es dauert nicht lange und sie fliegt leicht taumelnd davon.
„Dumm wie Bohnenstroh“, tönt es hinter mir.
Widerwillen muss ich lachen. Nun kann ich ihr leider auch nicht mehr helfen.
Wir landen an einem kleinen Strand unweit der Straße und den angrenzenden Hügeln. Malte, der gelaufen ist, wartet bereits am Anleger. Endlich wandern wir los, zunächst durch einen Hintergarten, der verdammt privat aussieht und dann in den Wald hinein. Nach 500 Metern nehmen wir den ersten falschen Abzweig. Wäre auch langweilig sonst. Also kraxeln wir in einem halsbrecherischen Manöver einen Hang aus moosüberwucherten Felsen hinauf und gelangen auf den richtigen Weg. Es geht gemächlich bergauf, der Weg ist tatsächlich so breit, dass wir zu dritt nebeneinander laufen können. Ich versinke in Gedanken, während sich die beiden Männer in ein Gespräch über Brückenbauverfahren vertiefen.
Im Gegensatz zum Laufen, wo ich meistens nichts denke, kann ich beim Wandern besonders gut denken. Einer der Gründe, warum ich beides liebe.
Allerdings währt der Frieden nicht lange. Von einer Sekunde auf die andere, befinden wir uns wieder mitten in der Wildnis. Ich versinke bis zum Knöchel in einer nassen Moospampe, die meinen Fuß mit einem lauten Schmatzen verschluckt. Lautet Lachen hinter und vor mir ertönt. Es wäre vermutlich nicht so laut gewesen, wenn es sie gewusst hätten, was uns die nächste Stunde erwarten würde.
Ab jetzt gibt es nämlich überhaupt keinen Weg mehr. Verzweifelt auf die GPS-Tracks unserer Uhren starrend, der genau hier lang führt, stolpern wir durch Sümpfe, dichtstehendes Gebüsch und tiefhängende Zweige. Kurzfristig versteigen wir uns in riesigen blockigen Felsen und unsere Tour erreicht einen Schwierigkeitsgrad einer 3- Kletterei. Dann wieder stapfen wir an einem rutschigen Bachufer entlang. Schließlich lässt sich etwas entfernt an einen Pfad Erinnerndes ausmachen und hin und wieder liegen morsche, brückenähnliche Konstruktionen über dem Rinnsal.
„Die würde vermutlich nicht mehr zugelassen.“, brummt Malte, stets der Ingenieur.
Geschickt will ich das morsche Ding umgehen. Dumme Idee. Ich breche bis zum Knie in ein vorher nicht dagewesenes Loch und nutze die Haut meines Schienenbeins als Bremsbelag.
Ein paar Meter weiter schreit Malte plötzlich und wir trauen unseren Augen kaum, als wir auf einen verhältnismäßig breiten Wanderweg treten, fett markiert mit den unverkennbaren roten „T“´s des norwegischen Wandervereins. Erleichtert machen wir eine Bestandsaufnahme, wieviel Flora an uns klebt und wieviel von uns wir in der Flora gelassen haben. Glücklicherweise überwiegt ersteres. Der restliche Weg zum Gipfel ein Kinderspiel. Gut markiert und ausgeschildert kommen wir schnell voran und können die Natur und die Aussicht genießen. Uns kommen sogar deutsche Wanderer inklusive Oma in vollständiger Outdoormontur entgegen.
Oben angekommen belohnt ein gigantischer Panoramablick auf das Hægefjell, auf dem wir vor ein paar Tagen waren und das Roholtfjell mit seinen Zwillingsgipflen, auf das wir noch wollen.
Wir genießen kleine Zimtschnecken, Kekse und norwegische Schokolade. Papa springt im Hampelmann neben uns herum in der Hoffnung, dass meine Mama ihn von unserer Insel aus sehen kann, die man von hier aus gut erkennen kann. Ich verzichte darauf, ihm zu sagen, dass es ein völlig hoffnungsloses Unterfangen ist und genieße stattdessen die Weite, die das Auge so beruhigt. Es ist eine Kunst, die Berggipfeln eigen ist, eine kleine heile Welt zu schaffen, in der für den Moment alles gut scheint und nichts Schreckliches passieren kann.
Uns gelingt es, uns auf dem Abstieg nicht zu verlaufen. Zunächst über Felsen, an denen ziemlich alt aussehende, hellblaue Pseudoseile hänge, dann durch einen lichten Wald aus Nadelbäumen und hellgrünen Birken. Die Bäume stehen zunehmend dichter, je tiefer wir kommen. Das Gespräch mäandert von Rettungsschwimmerhunden, die aus Helikoptern springen (oder geworfen werden, wir waren uns hier nicht ganz sicher), zum deutschen Rentenversicherungssystem, bis hin zur Sinnhaftigkeit von Marathonläufen und schon bald taucht das breite Seeufer vor uns auf.
Das Boot liegt noch genau dort, wo wir es zurückgelassen haben. Wir schaffen es tatsächlich, uns zu dritt in die sparsame Konstruktion aus etwas Holz und PVC zu quetschen.
„Das sollte bis zu 280 Kilogramm tragen.“, versichert Papa, der Optimismus in Person.
Bleibt ihm auch jetzt keine andere Wahl mehr. Da es allerdings nur zwei Paddel gibt, stelle ich mein Emanzipationsbedürfnis hinten an und lasse die beiden Männer paddeln. Malte scheint wiederum sehr motiviert und kurz darauf habe ich einen nassen Po, weil die Hälfte des Sees im Boot hin und her schwappt. Irgendwo in meinem Kopf geistert „sollte… 280 Kilogramm.“ herum, aber ich verdränge den Gedanken und lasse mir lieber die Sonne ins Gesicht scheinen.
Wir halten noch kurz beim nächstgelegenen Joker zum Einkaufen. Merke: In Norwegen gibt es mehr Bootsanleger als Fahrradständer. Um nochmal 20 Kilogramm schwerer und 20 Zentimeter tiefer, brechen wir zum letzten Kilometer auf. Vom Ufer aus blicken uns zwei oberkörperfreie Männer mit Bier in der Hand belustigt hinterher. Ihre Blicke sprechen Bände: Da passiert gleich ein Unglück, was für Landratten!“ Von wegen! Etwas ächzend aber heil und überwiegend trocken erreichen wir schwer beladen den heimischen Steg. Was für ein abenteuerlicher BoatTrail!
Fazit: Kurzweiliges Abenteuer in einer etwas unbekannteren Ecke Kviteseids.
Verpflegung, Snacks und co.:
Frühstück: Norwegisches Trinkjoghurt, Müsli, Blaubeeren, Erdnussbutter
Snacks: Mini-Zimtschnecken (absolute Empfehlung hier im Supermarkt, Schokolade, Kekse, getrocknete Mango (Maltes Favorit)
Danach: Frische Birnen und Zimtboller (Zimtbrötchen aus Hefeteig mit Zimtkruste)
*Einschätzungen beruhen auf meiner subjektiven Wahrnehmung, NICHT auf offiziellen Schwierigkeitsskalen
Leave A Reply